Vielen Dank,
dass ihr mich in eurer Selbsthilfegruppe aufgenommen habt.
Unter Gleichgesinnten fällt es mir sicher leichter über mein Problem zu reden.
Mein Name ist Ulrich und ich bin rückfällig geworden.
So nun ist es raus.
Doch wie konnte es soweit kommen, dass nach 25 Jahren vernunftbetontem Handeln das unwillkürliche Baugefühl die Steuerung über mein geregeltes Leben übernimmt?
Um das zu ergründen möchte ich etwas weiter ausholen:
Aufgewachsen bin ich in dem beschaulichen, leicht zersiedeltem Ostwestfalen-Lippe, wo Mobilität einen unerlässlichen Faktor für die gesunde Sozialisation des heranwachenden
Jugendlichen darstellt. Ich bin ein Kind der 60’iger, als Mütter noch was anders zu tun hatten als ihre Blagen herum-zu-chauffieren.
Zur Einschulung gab’s ein Fahrrad und die klare Ansage „Du kommst nach Hause, wenn die Straßenlaternen an gehen“.
Von da an gab es nur noch ein Ziel: 15 werden und Mofa fahren.
Von der Konfirmation das Geld zusammengekratzt und eine gebrauchte Görike-Mofa (mit Starrahmen und Sachs-Zweigang) gekauft, komplett zerlegt und leicht modifiziert, mit neuem Design wieder zusammengebaut.
‚Pimp my ride‘ gab’s schon lange vor MTV.
Von nun an wurde, neben der Optimierung der Motorleistung, nur noch der nächsten Evo-Stufe = dem 16. Geburtstag und dem Klasse vier Führerschein entgegengefiebert. Dies mußte natürlich rechtzeitig eingephast werden, denn jeder, der nicht innerhalb von 1 Woche nach dem 16.ten die Pappe hatte, war per Definition ein Looser.
Bis dahin mußte natürlich auch das entsprechende Gerät auf dem Gehöft stehen. Bei mir eine Honda SS 50.
In einer kleinen, verschworene Gemeinschaft von Viertaktentusiasten war es so ein bisschen, wie das kleine gallische Dorf inmitten der römischen Besatzermacht aus Herkules-, Kreidler- und Zündapp- Zweitakt-Flaschen.
Mittels bereits erworbener Bastelerfahrung, Hubraumsteigernden Umbauten und artistischem Talent konnten wir die ‚Schnapsglasklasse‘, lang liegend, auf dem örtlichen Autobahnabschnitt dominieren.
(Hätte nie gedacht, dass die Standwaage aus dem Sportunterricht zu irgendwas nütze ist.)
Doch die Dosis reichte bald nicht mehr und härterer Stoff mußte ran.
Nach den drei wichtigsten Ereignissen im Leben des gemeinen ostwestfälischen Jugendlichen
(15.ter Geburtstag, erste Ejakulation, 16.ter Geburtstag – oder auch in anderer Reihenfolge)
gab es nur noch eine Begehrlichkeit, nämlich 18 werden und möglichst zeitnah den 1.er Lappen.
Diese Motivation vermittelte mir dann auch erste, im späteren Berufsleben als Unternehmensberater, nützliche Erfahrungen in Produktion und Logistik der örtlichen Industrie als Ferienjobber. Zum 18.ten konnte ich dann den ersten (Parallel)Twin in Form eine Honda CB400N mein eigen nennen - Ich war jung und hatte keine Geld, aber für die scharfe Nocke mit damals unglaublichen 43 PS hat es noch gereicht.
Kurz darauf lernte ich die Vorzüge eines ADAC-Schutzbriefes schätzen, als benannter Verein mir zum Ende der nächsten Saison die Überbleibsel meines
Gefährts aus Spanien ins heimische OWL zurückkarrte.
Zu dem Zeitpunkt schlug mein Herz allerdings schon für eine CB550Four – mein erstes wirklich hübsches Motorrad.
Heute würde ich sie nicht mehr aus der Garage schubsen, aber im Grunde bin ich ein Zweizylinderfan.
Also wurde die Dosis mal wieder hochgeschraubt und die ‚alte Dame‘ eine damals 10 Jahre alte BMW R90S (BJ ´74) kam in mein Leben.
Nicht mehr ganz original im Aussehen (siehe Avatar) hat sie mich doch nie im Stich gelassen und auch bei der inzwischen nicht nur leistungsmäßig überlegenen Joghurtbecherkonkurrenz dank ihrer 67 (BMW hat große) PS gut mitgehalten.
Doch das Leben geht weiter und es verschlug mich Ende 84 nach Berlin.
Die alte Dame war allerdings kein Stadtkind und das mauerumsäumte großstädtische Dorf vermochte ihr nur unzureichenden Auslauf gewähren.
Das damals typische Berliner Hinterradprofilbild:
Mittelrille blank,
rechts angefahren
und links noch sämtliche Noppen (von wegen: Avus runter, Kleeblatt, Avus wieder hoch)
erzeugte außerhalb nur schallendes Gelächter.
So verlor ich das Interesse und stellte die Dame vorübergehend im elterlichen Keller ab.
Vorübergehend, ja ja.
Nichts ist so beständig wie ein Provisorium.
Die nächsten 25 Jahre sind schnell erzählt.
Familie, Kinder, Job, Scheidung und dann der 50.ste.
Upps, da war doch noch was.
Ich hatte immer im Hinterkopf, spätestens wenn die Jungs 18 werden, machst Du die Alte wieder frisch.
Und jetzt waren beide über 18.
Wäre Zeit der Alten Dame mal wieder einen Besuch abzustatten - Wäre schlau gewesen die Karre nicht einfach nur abzustellen.
Den Haufen wieder fit zu machen kostet richtig Zeit und Geld. Und was habe ich dann?
Ein Motorrad auf dem technischen Stand von vor 40 Jahren.
Auch nichts womit ich die Jungs fahren lassen möchte.
Also musste ein Kompromiss her. Etwas womit die Jungs fahren wollen und wo sich der Alte auch mal draufsetzen kann.
Ich wollte keinen Racer und die Jungs keinen Tourer.
Der Kompromiss war dann eine Yamaha XJ6 Diversion.
Spottbillig, Vorjahresmodell, Tageszulassung und technisch auf der Höhe der Zeit.
Und jetzt nimmt das Drama seinen Lauf.
XJ6 fahren ist zwar unheimlich vernünftig,
aber irgendwie auch ungefähr so sexy wie e-Zigarette rauchen.
Ich jetzt wieder angefixt, aber keinen Stoff zur Hand.
Im weiteren ging es mir so ähnlich wie dem Muschelschubser.
Ich hatte zwar schon Konzeptbilder von dem Jubiläumsmodell gesehen, aber die Doppeltröte hat mir jegliches weitere Interesse vergrault.
Bis ich mir dann doch mal eines Sonntags beim Freundlichen fast die Nase an der Scheibe platt gedrückt habe und mir fast einer abgegangen ist.
Ich hab’s versucht zu verdrängen – erfolglos.
Und 40 Jahre später die ‚Nachfolgerin‘ meiner einstigen großen Liebe zu fahren hat ja auch seinen Charme.
Nun ist die Hübsche bestellt und die Produktion ist für die KW16 terminiert.
Habe inzwischen auch für den avisierten Produktionstermin eine Werksführung im Motorrad Werk Spandau gebucht. Mit ein wenig Glück kann ich meine Hübsche in der Produktion sehen. Zumindest werde ich einen Blick auf die R nine T Linie werfen können und sehen wie einige ihrer Schwestern fachmännisch assembliert werden.
Das steigert meine ohnehin schon übergroße Vorfreude noch erheblich. Ist irgendwie wieder wie Warten auf den 15.ten Geburtstag.
Ebenso freue ich mich drauf möglichst viele von Euch, nicht nur im Vorbeifahren zu grüßen,
sondern mit etwas Zeit für einen Schnack zu begegnen.
Viele Grüße und allzeit unfallfreie Fahrt aus Berlin
Ulrich