Noch ein Federbein-Trööt
Nachdem ich nun 3 Federbeine für den Scrambler habe, möchte ich diese mal gerne als Entscheidungshilfe für Unentschlossene gegenüberstellen.
Gleichzeitig muss ich einige Werte korrigieren, die ich in vorhergehenden Posts genannt hatte. Teils habe ich meine Messmethoden verfeinert und Messwerkzeuge dafür modifiziert, teils habe ich keine Erklärung für die Abweichungen (z.B. Hub original-Federbein - der ist tatsächlich deutlich größer geworden - warum auch immer )
Erst mal die Messwerte, ohne jegliche Wertung. Wer welchen Faktor wie für sich gewichtet, muss jeder selbst wissen.
- Die Länge des Bilstein habe ich auf 380 mm eingestellt, also 6 mm länger als das original Sachs-Bein
- Den Anlenk-Faktor (Federweg/Dämpferhub) habe ich nochmals (mehrmals und mit höherem Aufwand nachgemessen) und komme auf ca. 3,1. Bisher hatte ich von 3,36 geschrieben, was ich hiermit reumütig revidiere. 1 cm Hub des Dämpfers entspricht somit ca. 3,1 cm Höhenänderung des Sattels, gemessen von Radachse senkrecht nach oben bis Sattel-Unterkante. Gemessen wurde mit dem Bilstein-Federbein mit entfernter Feder. Der Hub des Beins bis Anschlagpuffer beträgt 30,4 mm, bei Nutzung dieses Hubs ändert sich die Heckhöhe (senkrecht Achse zu Sattel-Unterkante) um gut 94 mm.
- Bei meinen ersten Messungen des Sachs-Federbeins hatte ich einen Gesamthub von 44 mm gemessen (Schieblehre bei demontierter Feder, also leicht zu messen und wenig fehlerträchtig). Heute waren es 49,6 mm Für diese starke Abweichung habe ich bisher keine Erklärung.Bei offener Zugstufe fährt der Dämpfer komplett aus, damals wie heute
Bisherige Einschätzung - nur Daten Montage, Zugänglichkeit, nicht Funktion/Fahrverhalten
Sachs:
+ Zugstufe über einen weiten Bereich regelbar (scheint auch etwas die Druckstufendämpfung zu beeinflussen)
+ Nutmuttern gut erreichbar
+ zweiteiliger Spritz-/Steinschlagschutz der Kolbenstange
- "one fits all": Nur eine Federhärte erhältlich
- keine Druckstufen-Einstellung
- nicht wartbar
Bilstein:
+ Zugstufe über einen weiten Bereich einstellbar
+ leichtestes Bein im Vergleich
+ Nutmuttern gut erreichbar
+ werkzeuglose Einstellung Zug- und Druckstufe
+ Einstellwerte direkt ablesbar
+ verschiedene Federraten erhältlich
+ Integrierte Höhenverstellbarkeit -5/+10 mm gegenüber Serie
+ Classicbike Raisch bietet kostenlosen Test des Federbeins an
- Druckstufen-Einstellung sehr schwergängig (auch nach Revision bei Bilstein), berichten auch andere Nutzer
- Druckstufen-Einstellung nahezu wirkungslos - nur minimale Auswirkung lowspeed
Wilbers 642 Blackline, +15 mm, ohne mech. Federvorspannungs-Verstellung, ohne Höhenverstellung
+ Zugstufe über einen sehr weiten Bereich einstellbar
+ werkzeuglose Einstellung Zugstufe
+ gute Zugänglichkeit Zug- und Druckstufeneinstellung
+ deutlich größererer nutzbarer Federweg
+ wirksame Einstellbarkeit Druckstufe für Low- und Highspeed
+ verschiedene Federraten und -längen erhältlich
+ Längenverstellung +/- 5 mm nachrüstbar
+ verschiedene Einbaulängen (mit teils noch mehr Hub) bestellbar
+ Federvorspannung machanisch 15 mm nachrüstbar
+ dadurch sehr variabel auf Anforderungen anpassbar
+ Wilbers bietet kostenlose Neuabstimmung an, falls gelieferte Werte nicht passen
- Nutmuttern eingebaut am Scrambler kaum zugänglich: lösen in kleinen Schritten möglich, spannen nicht!. Hier sind Ausgleichsbehälter, Aktivkohlefilter und Bremsflüssigkeitsbehälter im Weg.
edit 20.07.20: Diese Aussage ist Käse!!!!! Ich hatte bisher immer übersehen, daß man mit dem Wilbers-Hakenschlüssel nicht nur ziehen, sondern auch drücken kann. Und damit sind die Nutmuttern auch eingebaut und mit montiertem Aktivkohlefilter verstellbar. - eingestellte Werte nicht ablesbar (im Vergleich zum Bilstein)
- Schraubendreher für Druckstufen-Einstellung notwendig
- Bei meiner Konfiguration (+15 mm mit 200 mm Feder) kann die Feder nicht ohne Federspanner ausgebaut/getauscht werden
- Die Bestell-Konfiguration kann aufgrund der vielen möglichen Optionen verwirrend sein. Teils werden von Wilbers "mm Sattelhöhe" angegeben, teils "mm Dämpferhub". Aufpassen!
Aufgrund der diversen, teils miteinander kombinierbaren Optionen gibt es nicht DAS Wilbers 642 für den Scrambler, es gibt dutzende verschiedene, die sich in Länge, Hub, Federhärte und Vorspannungsbereich unterscheiden.
Um einige Aussagen in anderen (teils einige Jahre zurückliegenden Fahrwerks-Threads geradezurücken
- Das Bilstein bietet nicht 20% mehr Hub als die Serie (zumindest beim Scrambler, es sei denn, der nun längere Hub meines Sachs ist ein Defekt. Beim anfangs gemessenen Hub stimmt die Aussage .)
- Das Wilbers 642 ist kein "einfaches Emulsionsfederbein", sondern arbeitet mit Trennkolben im Reservoir. Zeigt auch eine Zeichnung in der ABE:
So etwas würde ich mir zum besseren Verständnis auch von Bilstein und Sachs wünschen, dazu noch konkrete Angaben zum nutzbaren Hub und im Idealfall noch die Dämpfungs-Kennlinien, dann könnte man (wenn man das denn wollte) eine Auswahl anhand technischer Merkbmale treffen. Aber vermutlich interessiert das alles nur sehr wenige
"Ansprechverhalten, Losbrechmoment/-Kraft":
Das Thema wird oft diskutiert und gelegentlich auch beworben.
Bei demontierten Federn kann ich zwischen Sachs (ca. 1000 km) und Wilbers (neu, 0 km) keinen nennenswereten Unterschied feststellen. Beide reagieren auch auf leichte Druckänderungen sofort und ohne spürbare Losbrechkraft. Beide lassen sich (bei geöffneten Dämpfungsstufen) ohne hohen Kraftaufwand vollständig komprimieren.
Das Bilstein (bis Revision ca. 6000 km, nach Revision ca. 500 km) lässt sich deutlich schwerer von Hand komprimieren. Auch bei völlig offenen Dämpfungseinstellungen brauchte es mit 60 kg Druck ca. 7 Sekunden zum Durchlaufen des Hubs. Nach der Revision kann ich das Bilstein überhaupt nicht mehr vollständig komprimieren. Entweder ist der Gasdruck deutlich höher als bei den anderen Beinen oder aber die Lowspeed-Druckstufe lässt auch bei völlig geöffneter Druckstufe weniger Öl passieren. Ob diese Beobachtung für die Fahrpraxis relevant ist, ist aber fraglich. Insofern ist aber eine erste Einschätzung der Losbrechkraft nicht möglich. Montiert auf dem Bike hatte ich niemals den Eindruck, dass hier eine nennenswerte Kraft erforderlich wäre.
Wenn schon alleine mit Körpergewicht/-Kraft am demontierten Dämpfer keine Losbrechkräfte spürbar sind, dürften diese bei den ungleich höheren Massen (statisch) und erst Recht im dynamischen Betrieb kaum eine Rolle spielen. Noch weniger bei einem Anlenk-Verhältnis von 3.1:1.
Gefühlte Unterschiede im Ansprechverhalten dürften also eher auf das Verhalten/Härte der Feder und/oder die Auslegung der Dämpfungsstufen zurückzuführen sein.
Die Reibungsflächen, an denen Losbrechkräfte entstehen können, sind in einem Hinterbau-Dämpfer ja im Vergleich zu einer Gabel ja ohnehin eher überschaubar. Ich denke, das Thema wird beim Federbein deutlich überbewertet. Falls es im Einzelfall relevant ist, würde ich eher von einem Defekt ausgehen.
Nutzbarer/genutzter Federweg im Fahrbetrieb:
Beim Sachs kann ich keine Aussage treffen, aufgrund des Spritzschutzes arbeitet die Kolbenstange völlig im Verborgenen.
Beim Bilstein mit 140 N/mm Feder konnte ich (87 kg fahrfertig) selbst bei völlig offener Druckstufe den Hub des Beines nicht annähernd ausnutzen.
Beim Wilbers mit seinem längeren Hub/Federweg wäre das bei gleicher Federrate absolut wohl ähnlich gewesen (und prozentual noch ärger) es sei denn, die Druckstufe des Bilstein hätte die Nutzung des kompletten Hubs wirkungsvoll verhindert und das Wilbers würde da anders reagieren.
Da ich aber zumindest die Möglichkeit haben möchte, verfügbaren Federweg auch zu nutzen (sonst bringt er mir ja ausser auf dem Papier nix), habe ich bei Wilbers auf einer 130 N/mm Feder bestanden. Empfohlen wurde mir bei meinen Daten (87 kg, Straße, komfortorientiert, 100% Solobetrieb ohne Gepäck) auch hier eine 140er Feder.
Ob meine Theorie hier aufgeht, muss die Praxis zeigen.
Einstellbare Druckstufendämpfung
Sowohl beim Sachs als auch beim Bilstein habe ich den Verdacht, dass die Druckstufendämpfung das Schlucken bestimmter Unebenheiten auf der Fahrbahn wirkungsvoll verhindert.
Beim Sachs ist hier nichts einstellbar (eventuell ein klein wenig in Verbindung mit der Zugstufe), beim Bilstein spüre ich hier auch keine Veränderung anhand der verschiedenen möglichen Einstell-Positionen. Bestimmte Hindernisse schlagen hart durch und heben mich kurz aus dem Sattel. Das könnte von einer (für mich) zu harten Feder oder aber einer zu strammen Highspeed-Druckstufe kommen. Da der erfahrbare Effekt beim Sachs mit 1200er Feder und Bilstein mit 140er Feder sehr ähnlich ist, tippe ich eher auf die Druckstufen-Dämpfung bei höheren Kolbengeschwindigkeiten. Bei moderaten Straßenschäden, Gullideckeln, Bahngleisen, Speedbumpern... habe ich dagegen beim Bilstein keinen Grund zur Klage, hier gefällt es mir deutlich besser als das Sachs.
In der Hoffnung, diesen Effekt abmildern zu können, habe ich mich entschlossen, auch noch das Wilbers 642 zu probieren. Ob diese Unebenheiten physikalisch überhaupt geschluckt werden können, ohne andere Fahreigenschaften zu negativ zu beeinflussen, muss sich noch zeigen.
Ich wollte keine unendliche Einstellbarkeit aller Parameter sondern Federn und Dämpfungen, die mir liegen. Meine Hoffnung ist demnach die, dass sich beim Wilbers mit seiner doppelt einstellbaren Druckstufe diese bei minimalen Einstellungen eben noch geringer einstellen lässt, als sie bei den beiden anderen "fest eingebaut" ist.
Kann aber auch sein, dass selbst eine völlig offene Einstellung beim Wilbers noch strammer ist als bei den anderen, Einstellbarkeit sagt ja nichts über konkrete Werte oder den einstellbaren Bereich aus . Eine Druckstufendämpfung findet bei allen statt, unabhängig ob einstellbar oder nicht. Nur wie hoch die ist, verrät uns keiner.
- Fortsetzung folgt der Übersichtlichkeit halber (und weil das Zeichenlimit pro Post erreicht ist ) im nächsten Post