Hallo Leute,
nachdem ich mir Anfang des Jahres meine NineT gekauft habe, habe ich im Rahmen dessen auch neue Kleidung gekauft. Beim kaufen der letzten Kleidung (meine alte Kombi war schon 9 Jahre alt), habe ich mir nicht besonders viele Gedanken bezüglich der Sicherheit gemacht. Ich hatte damals das Verständnis Lederkleidung = sicher und Textil = nicht so sicher. In den letzten Jahren hat sich da aber einiges getan, und vor allem auch bei der Kennzeichnung der Kleidung selbst. Ich habe mich da sehr lange eingelesen, weil vieles leider nur schwierig auffindbar oder verwirrend ist, bis ich da einigermaßen durchgestiegen bin. Ich wollte hier deshalb mal eine kleine Info-Liste zusammen schreiben, damit sich vielleicht der ein oder andere hier leichter einen Überblick über die Normen und Kennzeichnungen verschaffen kann.
Auch wenn es jetzt hier im Forum sicher einigen speziellen Leute hart in den Fingern juckt, will ich ausdrücklich NICHT diskutieren, ob "eine gewisse Gefahr zum Motorradfahren dazugehört" oder mein Lieblingsargument "je mehr Sicherheitskleidung man trägt, desto risikoreicher fährt man". Lagert sowas doch bitte wo anders hin aus. Ich finde Motorradfahren gefährlich genug und mir geht es nicht darum etwas gefährliches zu tun, sondern um den Spaß am Fahren. Wenn ich bei einer sorgfältigen Auswahl meiner Kleidung eine höhere Chance habe Verletzungen im Falle des Falles zu vermeiden, dann ist es mir das wert.
Vorne weg noch ein Hinweis: noch nicht jede Kleidung ist nach den aktuellen Normen gekennzeichnet. Bei älteren Kleidungsmodellen kann es sehr schwierig werden die tatsächliche Sicherheit herauszufinden. Nach und nach werden aber alle Motorradkleidungsstücke diese Kennzeichnungen hier tragen.
1. Die EN 17092:2020
Seit dem Jahr 2020 gibt es bei Schutzkleidung zur leichteren Erkennbarkeit der Sicherheit eine neue Kennzeichnung, die auf Jacken und Hosen als Einnäher angebracht ist.
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Mit diesem Logo wird die Sicherheit der Kleidung festgelegt. Für Klassen AA und AAA sind dabei Ellbogen, Schulter, Knie und Hüftprotektoren vorgeschrieben, bei Klasse A ist der Hüftprotektor optional.
Die Abriebfestigkeit der Kleidung wird in einem Test simuliert, um Vergleichswerte herzustellen. Dabei wird nicht nur das Material selbst, sondern auch Nähte etc. getestet. Für den Test wird immer das Futter o.ä. entfernt, es wird die Kleidung also im schwächsten Zustand getestet, aber natürlich mit Protektoren. Der Test simuliert eine Person mit 75kg und 1,75m. Dazu wird die Kleidung in drei verschiedene Abriebzonen unterteilt. Die Zonen, die im Falle eines Sturzes am ehesten Kontakt zum Boden haben, sind in der Zone 1, die größeren Flächen, die auch stark gefährdet sind Zone 2 und die weniger gefährdeten Zonen (bspw. die Beine an den Innenseiten oder innen an den Armen) sind Zone 3.
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Wie lange die Kleidung dabei das Rutschen über die Straße mitmacht, entscheidet welche Klassifizierung sie bekommt. Die Klassen gehen von C bis AAA. Je nach persönlichem Sicherheitsempfinden sollte man beim Fahren auf der Straße aber eher die Klassen C und B vermeiden. Das ist eher Freizeitkleidung, die minimale Abriebfestigkeiten aufweisen kann. Damit die Kleidung dann klassifiziert wird, muss sie im Test mit der Testmaschine eine Abriebfestigkeit erreichen, die einem Rutschen über Beton bis zum Stillstand ab einer gewissen Geschwindigkeit entspricht. Welche Klasse welche Abriebwerte erreichen muss seht ihr in dieser Tabelle:
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Klasse B ist dabei wie Klasse A nur ohne Protektoren als Voraussetzung und Klasse C ist eher für Mesh-Offroad Kleidung, die nur Protektoren Zusammenhalten soll und nicht wirklich Abriebfestigkeit aufweist.
Dabei muss man das auch neutral bewerten: wenn ihr euch mit einer Hose mit AAA-Rating bei 120 schmeißt, heißt das nicht, dass die das garantiert wegsteckt. Hier geht es eher darum eine Vergleichbarkeit zwischen den Produkten bezüglich der Abriebfestigkeit herzustellen.
Das AAA Rating haben momentan tatsächlich nicht so viele Lederkombis wie man denkt. Die meisten normalen Lederkombis haben AA, bei Louis habe ich aus Interesse bei einigen Kombis nachgeschaut und viele günstige bspw. Probiker Lederkombis hatten tatsächlich nur Klasse A. Rennsport Lederkombis haben aber eigentlich durch die Bank Klasse AAA. Bei Goretex Kleidung sieht es ähnlich aus.
2. Protektoren
Ich habe bisher keine Info gefunden, ob die EN 17092:2020 auch Vorschriften bezüglich der Schlagfestigkeit der Protektoren macht. Soweit ich das sehe müssen die für diese Norm nur vorhanden sein.
Deshalb sollte man noch darauf schauen, welche Klasse die Protektoren selbst erreichen.
Bei allen Protektoren (Rücken, Schuler, Ellbogen, Rücken, Knie und Hüfte) gibt es dabei zwei Klassen. Level 1 und 2. Für Gelenkprotektoren gibt es die DIN EN 1621-1 und für Rückenprotektoren die EN 1621-2.
Bei Protektoren wird im Test ein 5kg schweres Gewicht aus 1m Höhe auf den Protektor fallen gelassen und man schaut wie viel Kraft der Protektor dabei durchlässt. Dabei kommt es darauf an, dass der Protektor die Kraft flächig verteilt und durch eine "Knautschzone" Spitzenbelastungen abdämpft.
Bei Gelenkprotektoren gibt es folgende Schutzlevel:
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Und bei Rückenprotektoren gibt es extra Werte:
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Wichtig ist natürlich dabei auch, dass die Protektoren richtig sitzen, nicht verrutschen können (eng anliegende Kleidung!) und auch genug abdecken. Man sieht oft tolle Rückenprotektoren die nur einen kleinen Teil der Wirbelsäule abdecken, aber trotzdem Level 2 haben. Die helfen natürlich nichts, wenn der Einschlag über oder unter dem Protektor auf die Wirbelsäule kommt.
Für die meiste Kleidung kann man aber lvl 2 Protektoren nachrüsten, wenn man das will. Diese sind natürlich etwas dicker als lvl 1 Protektoren.
3. Airbag
Hier hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Es gibt mittlerweile zahlreiche Anbieter auf dem Markt und bei einer Neuanschaffung lohnt sich ein Blick auf die verfügbaren Modelle. Gerade beim Nackenschutz, aber auch bei der Wirbelsäule und Rippen (eine punktierte Lunge ist wohl eine der häufigsten Todesursachen bei Motorradfahrern, die den Aufprall selbst überleben) können Airbags ganz erheblich vor schwereren Verletzungen schützen. Ich selbst fahre mittlerweile eine Helite Jacke mit integriertem Airbag und lvl 2 Protektoren.
Bis etwa 70km/h können Motorradairbags die Verletzungsgefahr Tests zufolge deutlich reduzieren.
Doch intelligenterweise gibt es zwar auch für Airbag System ein Level System, jedoch mit völlig anderen Werten als bei Rückenprotektoren. Hier gilt die EN 1621-4 und zwar die EN 1621-4 CB für den Rücken und die EN 1621-4 für die Brust. Während bei normalen Rückenprotektoren für lvl 1 und 2 jeweils 18kN und 9kN "durchkommen" dürfen, sind es bei Airbags für lvl 1 und 2 jeweils 4,5kN und 2,5kN und damit ein Bruchteil dessen was bei einem konventionellen Rückenprotektor normal ist.
Bei Airbag Systemen muss noch erwähnt werden, dass die computergesteuerten Systeme normalschneller auslösen als die mit Reißleine, aber dafür eben einen geladenen Akku benötigen. Zudem gibt es (meiner Meinung nach idiotischer Weise) sogar elektronische Systeme mit Abo-Modell, die nicht mehr auslösen, wenn man sein Abo nicht mehr bezahlt.
4. Stiefel
Bei Schuhen gibt es wie bei Jacken und Hosen auch einen Aufnäher, der die Schutzklassen in Level 1 und 2 einteilt. Die Testkriterien dazu könnt ihr hier nachlesen.
Der Einnäher sieht so aus:
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Also die erste Zahl ist die Höhe des Schuhes (1 niedrig, 2 hoch), die zweite Zahl ist die Abriebfestigkeit, die dritte Zahl die Schnittfestigkeit und die vierte Zahl die Verwindungssteifigkeit.
5. Handschuhe
Die Kennzeichnung für Handschuhe ist ähnlich wie die von den Stiefeln
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Die genauen Anforderungen um hier ein Level 2 oder Level 1 zu erreichen kann man hier noch mal nachlesen.
Auf das Aufführen von Helmen habe ich hier bewusst erst mal verzichtet, weil es da verschiedene Testverfahren mit verschiedenen Voraussetzungen gibt, die auf andere Gefahren achten. Wir sind da in Europa aber mit der CE Norm sicherlich sehr gut dabei und man kann einen gewissen Schutz erwarten. Hier gibt es auch deutlich mehr Infos im Internet als zur Kleidung.