Und noch eine Racer mehr

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  • Hallo miteinander,

    nachdem ich nun schon eine Weile mitlese, möchte ich mich heute mal aus der Deckung wagen. ;)

    Ich fahre seit Mitte letzten Jahres mit viel Freude eine Racer, gehöre statistisch gesehen in die Gruppe der Ü50-Wiedereinsteiger.

    In jungen Jahren habe ich eine klassische Zweirad-Laufbahn mit Puch Maxi N, X30, Herkules K 50 RL und Suzuki TS 125 hingelegt. Über eine CBR 600F (PC25) wurde mein Interesse an Vierzylindern geweckt, so dass ich mir Anfang 1992 quasi als Blindbestellung eine der ersten in Deutschland ausgelieferten CBR 900 Fireblades (SC28) gesichert habe. Diese Maschine ist mir mit ihren 205kg (vollgetankt) und gemessenen 128 PS seinerzeit an Herz gewachsen. Das 16“ Vorderrad war nicht der Weisheit letzter Schluss, aber von den Fahrleistungen her spielte sie für ein Großserienmotorrad zu ihrer Zeit in einer eigenen Liga. Mit P Zero Corsas ausgestattet, konnte man sie recht flott auf Rundkursen bewegen. Allenfalls die Ducati 888 nötigte mir in Schräglagen und beim Herausbeschleunigen Respekt ab. Ich muss zugeben, dass ich damals an BMW-Motorrädern null Interesse hatte. Das waren gefühlt statische Hindernisse, die man bei Bedarf problemlos umfahren konnte. (Ich hoffe, für diese Aussage werde ich hier nicht gesteinigt)

    ABS, ASR und all die netten Helferlein vermisste damals kein Mensch. Und sie waren, im Vergleich zu heutigen Superbikes, auch gar nicht nötig. Ich war dann einige Jahre mit Moto-Aktiv auf diversen Rennstrecken unterwegs (kennt den Verein heute überhaupt noch jemand?).

    2002 bin ich Honda untreu geworden und habe mir eine Suzuki GSX-R 1000 (K2) zugelegt. Obwohl diese mit 160 PS und 201 kg (vollgetankt) gar nicht so viel mehr Leistung als die Fireblade hatte, war sie deutlich anstrengender zu fahren. In Ermangelung jeglicher elektronischer Unterstützung war eine flotte Runde auf zweitklassigen Nebenstrecken ein ständiger Kampf um die richtige Leistungsdosierung. Spaß machte das keinen und Hockenheim allein ist m. E. auch keine Daseinsberechtigung für ein straßenzugelassenes Superbike. Den Oberkörper flach auf den Tank gedrückt bei eingeschränktem Gesichtsfeld durch beginnenden Tunnelblick zu erleben, wie die LCD-Anzeige bei 299 aufhört hochzuzählen – das braucht doch kein Mensch. Mit 4 Rädern geht das sehr viel entspannter und bedarfsweise noch schneller. Meine Zweifel am Sinn des Superbikes wuchsen. Aber für eine BMW fühlte ich mich damals noch viel zu jung… ;)

    Wirklich zu denken gab es mir dann aber eine Situation, bei der mich ausgerechnet eine BMW (R1150 GS oder so) auf einer zugegebener Maßen schlechten Landstraße in einer Kurve überholte. Während ich mich bemühte, die Leistungsentfaltung der Suzuki unter Kontrolle zu halten, zog diese BMW einfach an mir vorbei. Wahrscheinlich mit Vollgas. Was war das für eine verrückte Situation, von einem BMW-Boxer überholt zu werden. So weit ist es gekommen. Wenn auch nur für 1 oder 2 Sekunden. Das war für mich ein dramatisches, einschneidendes Erlebnis und hat vermutlich maßgeblich zur Entwicklung von Traktionskontrollen und Kurven-ABS beigetragen. Oder so ähnlich. ;)

    Ich kam für irgendwann zu dem Schluss, dass vierrädrige Fahrzeuge auch ihren Reiz haben und man sich damit wesentlich sicherer und komfortabler fortbewegen kann. Man wird ja schließlich älter und verantwortungsbewusster und Zweirad-Unfälle sind wirklich großer Mist. :(

    So gingen die Jahre ins Land und wohlmöglich wäre alles so weiter gelaufen, wenn nicht anlässlich eines 40 jährigen Klassentreffens die uralten Puchgeschichten heraus gekramt worden wären. Abgefeilte Kolben, abgesägte Krümmer, 16er Ritzel usw. Heute geht's um die Frage ASIL C oder D und damals ist man mit völlig unterdimensionierten Trommelbremsen rumgefahren. Wir haben echt Schutzengel gehabt.

    Doch damit nahmen die Dinge ihren Lauf: Der Keim war gepflanzt, mehr als anderthalb Jahrzehnte Motorrad-Entzug riefen nach Genugtuung. Nach einigem hin- und her hatte ich ein Auge auf eine top gepflegte CB 750 von 1976 geworfen. Ich wollte ja keinesfalls wieder in die alte Gangart zurückfallen. Es geht, wenn überhaupt, nur noch um die entspannte Sonntagmorgen-Kaffeefahrt. Da ist so ein Oldtimer ja ideal für. Und der Schrauber in mir findet bestimmt auch etwas zu tun. Ich habe also mit Freude das Angebot für eine ausgiebige Probefahrt angenommen, mich aufs schwere Motorrad geschwungen und vorsichtig Gas gegeben. Da passiert erstmal nicht viel. Gut, Vollgas schadet offenbar auch nicht, der Unterschied ist eh gering. 67 PS beschleunigen die Schöne innerhalb von wenigen Minuten auf über 160 km/h. :) Die Geradeausfahrt gleicht einem Eiertanz, Fahrwerkstechnik Stand 70er Jahre halt. Muss man mal erleben. Darauf war ich innerlich so gut es geht vorbereitet. Kein Grund zu hadern. Ich will ja auch nicht rasen, sagte ich mir, also immer mit der Ruhe. Und gut schaut sie wirklich aus mit ihrem Speichenrädern. Zeitlose Schönheit.

    Dann kam der entscheidende Moment, in dem ich bremsen wollte. Zum Glück nur wollte, nicht musste. Ich hatte das Gefühl, die Handpumpe ist per Rohrpost mit dem einsamen Bremssattel an der Vorderradgabel verbunden. Es passiert – erstmal – gar nichts. Dann setzt ganz sanft so etwas wie eine Geschwindigkeitsabnahme ein, Bremsvorgang würde ich das noch nicht nennen. Mit etwas Geduld kommt man schließlich sogar zum Stehen. In meinem Fall schweißgebadet. Alles was recht ist, die CB 750 in Ehren, aber das mit den Bremsen geht gar nicht. Lebensgefährlich bei meiner Fahrweise.

    Völlig zerknirscht habe ich mich von der Idee mit dem Oldtimer verabschiedet. Nachdem das Eis einmal gebrochen war, konnte ich die Idee, wieder Motorrad zu fahren, nicht mehr so einfach begraben.

    Jetzt wollte ich es wissen, habe beim BMW-Händler meines Vertrauens vorgesprochen und ein paar Minuten später die Zündschlüssel einer schicken S 1000 RR zwecks Probefahrt in der Hand gehalten. Uff, dass Teil geht echt ab und ist mit all den elektronischen Gehhilfen geradezu alltagstauglich. Aber, wozu das Ganze? Wo ist da noch der Reiz auf öffentlichen Straßen zu fahren? Ausgerechnet bei gemäßigtem Landstraßentempo, so um die 4.000 U/min, nervt der Motor mit feinen Vibrationen wie eine Nähmaschine. Da war ja die Fireblade vor 28 Jahren super vibrationsarm gegen. Immerhin, was da oberhalb von 8.000 U/min abgeht, ist wirklich beeindruckend. Aber der Reiz lässt schnell nach und die 300+ auf BABs sind bei der heutigen Verkehrsdichte i.d.R. nur für Sekunden machbar. Wehe, wenn da jemand unbedacht ausschert. Papenburg und Nardo liegen auch nicht gerade vor der Haustür.

    Ums klar zu sagen: Ich lege überhaupt keinen Wert auf die Möglichkeit ohne Kupplung zu schalten. Vollgas in Schräglage und das Hinterrad rutscht nicht weg? Das ringt mir technisch großen Respekt ab, aber all diese Features nehmen dem Motorradfahren in Summe doch den Reiz. In einem Punkt muss ich mir allerdings selbst widersprechen: Das Schleppmoment der R nineT ist ein antiquarischer Graus, potentiell gefährlich und kostet bei schnellen Kurven ausgerechnet in der Bremsphase viel Aufmerksamkeit. Das ist auch so ziemlich das einzige Feature, außer den schlauchlosen Speichenrädern, was ich von dem 2021er Modell gern hätte. Felgen gehen, Rest leider nicht.

    Zurück zu S 1000 RR: Nach dieser Probefahrt war klar, das ist nicht das, was ich suche. Ziemlich frustriert bedanke ich mich beim freundlichen BMW-Kundenberater und schlurfe Richtung Ausgang. Corona-bedingt führte der Weg hinten raus durch die Halle mit den Gebrauchtmotorrädern. Ich gehe desinteressiert vorbei an überdimensionalen Reiseenduros und plastikbewehrten Superbikes.

    Und dann sehe ich sie mittendrin: Meine R nineT Racer! Liebe auf den ersten Blick, die oder keine.

    Ein bisschen Vintage wie die CB 750, aber zeitgemäße Bremsen und sogar einen Kat. Zurück zum Verkäufer, rote Nummer drauf, Probefahrt. Das Teil passt wie angegossen, genau die Sitzposition, die ich suche (>180cm, langer Rücken). Der Motor macht auf der Landstraße herrlich Spaß, der serienmäßige Sound ist super gelungen. Da sieht man erstmal drüber weg, dass es in schnellen Wechselkurven eher geradeaus als in die Kurve geht und oberhalb von 8.000 U/min schlichtweg die zweite Hälfte des Drehzahlbereichs fehlt. Wo bei der 1000er erst richtig die Post abgeht, ist bei der R nineT einfach Schluss. Ohne Diskussion, mit keinem Trick der Welt kommt da mehr raus. Ich gebe zu, in besonderen Momenten hätte ich oben raus gern noch fünf-, sechstausend Umdrehungen mehr. Was soll’s, die Racer macht auf Anhieb Spaß und sieht einfach toll aus. Der ideale Café Racer für mich. Also spontan gekauft, ein paar Tage später abgeholt und bis heute nicht eine Sekunde bereut! :)

    Ich kann mich nicht entsinnen, je mit einem Fahrzeug so viel Aufmerksamkeit erregt zu haben. Und das will etwas heißen. Kaum ein Tankstellenstop, bei dem man nicht angesprochen wird. Die Racer lässt sich entspannt über eins, zwei Stunden am Stück fahren. Dann solle man den Handgelenken allerdings eine Regenerationspause gönnen. Wer schön sein will, muss auch etwas Leidensfähigkeit mitbringen. Man kann ab Werk mit 2.500 Touren leise und umweltfreundlich durch die Tempo 30 Zone tuckern und sich Sekunden später außerorts bei geöffneter Abgasklappe wundern, was die Homologationsanforderungen so alles an Spielraum hergeben.

    Was ich eingangs völlig unterschätzt habe, sind die zahlreichen Möglichkeiten, die R nineT zu optimieren und individualisieren. Dabei haben mir die Beiträge in diesem Forum vielfältige Anregungen und Hinweise geliefert, mein Dank an die Autoren. Die wenigen aus dem Ruder gelaufenen Beiträge, die mitunter sehr persönlich werden, ändern nichts daran und sind bei einer solchen Plattform wohl unvermedbar. Ich habe aber den Eindruck, der Altersdurchschnitt hält die Auswüchse in Grenzen. ;)

    Ich werde in den kommenden Wochen und Monaten versuchen, den einen oder anderen konstruktiven Beitrag zu leisten.

    Viele Grüße von der südlichen Weinstraße,

    Michael

    29.04.2023: Drivingcenter Baden Airport

    Einmal editiert, zuletzt von R9T_33 (8. Januar 2021 um 06:59)

  • Servus und willkommen im Forum.

    Sehr geile Entwicklung bei dir festzustellen.

    Habe auch 20 Jahre abstinent gelebt.

    Dann mit R1100R (Bj1997) vor zwei Jahren wieder begonnen, ne Guzzi V7 dazu gepackt, letztes Jahr beide verkauft und mir die nineT besorgt.

    Kann dir nur beipflichten, der Individualisierungsfaktor ist enorm und macht Spaß.

    Gute Fahrt und weiterhin viel Spaß

    Grüße aus dem Bayrisch'Kongo

    Roman

    Einmal editiert, zuletzt von Airbrosch (8. Januar 2021 um 06:57)

  • Servus Michael,

    Herzlich Willkommen und Glückwunsch zur Racer.

    Ich fahre auch eine und bin echt happy damit. Bin vorletztes Jahr eine für 3 Monate zur Miete gefahren und habe mich verliebt. Danach habe ich mir dann eine eigene gekauft.

    Das mit der Aufmerksamkeit kann ich bestätigen. Sind halt doch nicht so viele unterwegs :)

    Immer gute und unfallfreie Fahrt!

    Grüße

    Jens

  • Hallo Michael,

    willkommen im Club und weiterhin viel Spaß mit der Racer!:toeff

    Bei der einen oder anderen Anekdote in Deiner Geschichte findet man sich wieder.:daumen-hoch

    Viele Grüße aus dem Sauerland:bier

    Ralf